Im dunklen Erdteil Afrika von Joachim Ringelnatz
Im dunklen Erdteil Afrika
Starb eine Ziehharmonika.
Sie wurde mit Musik begraben.
Am Grabe saßen zwanzig Raben.
Der Rabe Num’ro einundzwanzig
Fuhr mit dem Segelschiff nach Danzig
Und gründete dort etwas später
Ein Heim für kinderlose Väter.
Und die Moral von der Geschicht? –
Die weiss ich leider selber nicht.
Neujahrsnachtfahrt von Joachim Ringelnatz
Wenn du nachts in ein Auto steigst
Und dir ist bang und winterlich zu Mut,
Und du dem Chauffeur die Richtung zeigst,
Und sagst: „Sie fahren gut.“
Wenn du so den Kopf des Wagenlenkers lenkst,
Daß er’s gar nicht gewahrt,
Wie du traurig bist und an Sterben denkst, –
Das ist nächtliche Fahrt.
Draußen leuchtet Volk und lacht und schießt.
Mitlächelnd denkst du fremdwärts still
An etwas, was du vom Flugzeug aus siehst,
An ein Flüßchen, das unter dir weit fließt
Sohin, dorthin, wo es muß; nicht will.
Aus: Gedichte dreier Jahre
Nun geh ich stumm an dem vorbei,
Wo wir einst glücklich waren,
Und träume vor mich hin: es sei
Alles wie vor zwei Jahren.
Und du bist schön, und du bist gut,
Und hast so hohe Beine.
Mir wird so loreley zumut,
Und ich bin doch nicht Heine.
Ich klappe meine Träume zu
Und suche mir eine Freude.
Auf daß ich nicht so falsch wie du
Mein Stückchen Herz vergeude.
Ich habe dich so lieb von Joachim Ringelnatz
Ich habe dich so lieb!
Ich würde dir ohne Bedenken
Eine Kachel aus meinem Ofen
Schenken.
Ich habe dir nichts getan.
Nun ist mir traurig zu Mut.
An den Hängen der Eisenbahn
Leuchtet der Ginster so gut.
Vorbei – verjährt –
Doch nimmer vergessen.
Ich reise.
Alles, was lange währt,
Ist leise.
Die Zeit entstellt
Alle Lebewesen.
Ein Hund bellt.
Er kann nicht lesen.
Er kann nicht schreiben.
Wir können nicht bleiben.
Ich lache.
Die Löcher sind die Hauptsache
An einem Sieb.
Ich habe dich so lieb.
Überall ist Wunderland von Joachim Ringelnatz
überall ist Wunderland.
überall ist Leben.
Bei meiner Tante im Strumpfenband
Wie irgendwo daneben.
überall ist Dunkelheit.
Kinder werden Väter.
Fünf Minuten später
Stirbt sich was für einige Zeit.
überall ist Ewigkeit.
Wenn du einen Schneck behauchst,
Schrumpft er ins Gehäuse.
Wenn du ihn in Kognak tauchst,
Sieht er weiße Mäuse.
An M. – Joachim Ringelnatz
Der du meine Wege mit mir gehst,
Jede Laune meiner Wimper spürst,
Meine Schlechtigkeiten duldest und verstehst –
Weißt du wohl, wie heiß du mich oft rührst?
Wenn ich tot bin, darfst du gar nicht trauern.
Meine Liebe wird mich überdauern
und in fremden Kleidern dir begegnen
Und dich segnen.
Lebe, lache gut!
Mache deine Sache gut!
Was willst du von mir? von Joachim Ringelnatz
Möchtest du meine Frau werden,
Da meine Haare schon grau werden,
Schon größtenteils sind?
Möchtest du über mich lachen?
Soll ich dir Freude machen?
Oder ein Kind?
Willst du die Peitsche spüren?
Soll ich dich ausführen?
Brauchst du Geld oder einen Rat?
Willst du mit mir spielen?
Oder gefielen oder mißfielen
Dir Taten, die ich tat?
Warum bist du so still?
Soll ich dich beklagen?
Sag doch einmal: “Ich will……”
Oder sonst ein deutliches Wort.
Soll ich dich verjagen?
Ja. Geh zu!
Nein! – Du!
Bitte, bitte, geh nicht fort.
Kindersand von Joachim Ringelnatz
Das Schönste für Kinder ist Sand.
Ihn gibt’s immer reichlich.
Er rinnt unvergleichlich
Zärtlich durch die Hand.
Weil man seine Nase behält,
Wenn man auf ihn fällt,
Ist er so weich.
Kinderfinger fühlen,
Wenn sie in ihm wühlen,
Nichts und das Himmelreich.
Denn kein Kind lacht
über gemahlene Macht.
Es lohnt sich doch von Joachim Ringelnatz
Es lohnt sich doch, ein wenig lieb zu sein
Und alles auf das Einfachste zu schrauben,
Und es ist gar nicht Großmut zu verzeihn,
Daß andere ganz anders als wir glauben.
Und stimmte es, daß Leidenschaft Natur
Bedeutete im guten und im bösen,
Ist doch ein Knoten in dem Schuhband nur
Mit Ruhe und mit Liebe aufzulösen.
Telefonischer Ferngruß von Joachim Ringelnatz
Ich grüße dich durchs Telefon,
Guten Morgen, du Gutes!
Ich sauge deiner Stimme Ton
In die Wurzeln meines Mutes.
Ich küsse dich durch den langen Draht.
Du Meinziges, du Liebes!
Was ich dir – nahe – je Böses tat,
Aus der Ferne bitt ich: Vergib es!
Bist du gesund? – Gut? – Was? – Wieviel? –
Nimm’s leicht! – Vertraue! – Und bleibe
Mir mein. – – Wir müssen dies Wellenspiel
Abbrechen – – Nein „dir“ Dank! – – Ich schreibe!
Entgleite nicht von Joachim Ringelnatz
Wer hätte damals das gedacht!?
Von mir!? – Wie war ich davon weit!
Dann stieg ich, stiegen wir zu zweit
Und sagten glücklich vor der Nacht;
„Kehr nie zurück, bedankte ärmlichkeit!“
Es war ein wunderschönes Hausen
In guter, kleinerbauter Heimlichkeit. –
Ganz winzige, herzförmige Fenster gibt’s. –
Im reichen Raum vergißt man leicht das Draußen. –
Entgleite nicht, du Glück der Einfachheit.
An meinen Zigarettenrauch von Joachim Ringelnatz
Gleite ins Weite und in die Höh!
Adieu, du zartes Bleu
Meines Zigarettenrauches,
Der du so sanft entfliehst.
Wenn du ein zierliches Nasenloch siehst,
Küß dem die Haare als Gruß meines Hauches.
Ob dich ein Höhendruck
Zur Erde zurückschlägt,
Eine Strömung, eines Windes Ruck
Dich zu Himmelsglück trägt, –
Finde das, was du erwartetest.
In dem hold gewürzten Augenblick,
Da du aus mir startetest,
Spielte Ziehharmonikamusik
Ein Lieblingslied von mir: La paloma
Und auf Schwingen dieser Volksweise
Steigst du auf. Glückliche Reise!
Aus Nikotin ins ewige Aroma